Am 9. Mai 2021 wäre Sophie Scholl 100 Jahre alt geworden. Zu Recht ist in den Medien an sie erinnert worden als mutige junge Frau, die Widerstand in Nazi-Deutschland geleistet hat und deswegen von den Nazis umgebracht worden ist.
Wir brauchen solche Erinnerungen: Sie zeigen, wie wichtig Demokratie ist und dass man sich braunen Umtrieben widersetzen muss, wir brauchen solche Vorbilder.
2019 wäre Hildegard Spieth 100 Jahre alt geworden. Die erst 24 Jahre alte Pfarrfrau und Mutter, deren Mann hatte einrücken müssen, hat dem jüdischen Ehepaar Max und Karoline Kraukauer 1945 im Stettener Pfarrhaus trotz großer Gefahr Zuflucht gewährt und so das Leben gerettet. Die Erinnerung an solchen „Rettungswiderstand“ ist besonders wichtig. Denn hier zeigt sich, dass Mit-Menschlichkeit auch in Zeiten der brutalen Unterdrückung möglich war. Und ihr Widerstand war erfolgreich, hat Leben gerettet. Es war kein Superheld, sondern eine junge Mutter, die menschlich gehandelt hat, trotz großer Angst.
Das Ehepaar Krakauer war im Pfarrhaus versteckt. Gleich danach beginnt die Hindenburgstraße. An deren Ende steht die Glockenkelter, die damals als NSDAP-Parteiheim und von der Hitlerjugend genutzt worden ist. Dort hat der Ortsgruppenführer sich zu Ehren eine Gedenktafel anbringen lassen. Die Glockenkelter wurde auch als Unterkunft für Zwangsarbeiter genutzt.
Wie in einem Brennspiegel stoßen in dieser Hindenburgstraße die Gegensätze der Nazi-Zeit aufeinander:
Bereits im Mai 1933 haben die Nazis in Stetten ihre neue Macht gefeiert, indem sie die Lange Straße in Hitler-Straße und die Obere Straße in Hindenburg-Straße umbenannt haben, sie wollten die „beiden großen
Führer Deutschlands ehren“ und Propaganda für sich machen.
Hindenburg war für die Nazis wichtig, er hat nicht nur Hitler zum Reichskanzler ernannt, er hat auch als Präsident u.a. die Reichstagsbrandverordnung erlassen, die die Grundrechte aufhob und dazu diente, Kommunisten, Sozialdemokraten und die Gewerkschaften zu verfolgen.
Die Hindenburgstraße ist ein Ort der Nazi-Propaganda, ein Ort, der für Zwangsarbeit und Judenverfolgung steht, aber auch ein Ort des Widerstands. Und es ist ein Ort der Verdrängung. Zugleich wird es immer mehr zu einem Ort des Erinnerns. Seit 2004 erinnert eine Gedenktafel am Pfarrhaus an Hildegard Spieth und ganz neu ist das Mahnmal
Zwangsarbeit. Aber wir haben immer noch eine Hindenburg-Straße.
Setzen wir ein Zeichen gegen Verdrängung, zeigen wir, dass wir keine Nazi-Propaganda auf Straßenschildern wollen, zeigen wir, dass wir nicht auf der Seite der Täter stehen, sondern auf der Seite der Opfer
und des Widerstands:
Benennen wir die Hindenburgstraße um in Hildegard-Spieth-Straße.
Setzen wir ein weiteres Zeichen, dass wir uns der Erinnerung stellen.
Es wäre die erste Straße in Kernen, die nach jemandem aus dem Widerstand benannt wird.
Und es wäre die erste Straße in Kernen, die nach einer Frau benannt wird!