Haushaltsrede der OGL im Gemeinderat Kernen 2024

Sehr geehrter Herr Paulowitsch, sehr geehrte Mitarbeitende der Verwaltung, lieber Gemeinderat, liebe Mitbürger:innen,

sich mit einem 250-seitigem Zahlenwerk der Kämmerei auseinanderzusetzen und dann etwas darüber zu schreiben, ist sicherlich nicht vergnügungssteuerpflichtig. Haushaltsreden sind deshalb ehrlich gesagt oft langweilig und nichtssagend. Wer mag es einem deshalb verdenken, wenn man sich mehr auf politische Inhalte konzentriert und weniger auf nackte Zahlen – insbesondere in einem Jahr der Wahlen und der jetzt folgenden Karenzzeit für die Veröffentlichung von Artikeln im Mitteilungsblatt.

Vor kurzem war ich im E-Mail-Austausch mit einem Kollegen einer anderen Fraktion. Da fiel unter anderem der Satz: „Matthias, wir haben das gleiche Ziel.“ Das mag ja eventuell sogar stimmen, habe ich mir gedacht. Obwohl, ist nicht manchmal der Weg noch wichtiger als das Ziel? Kernen will bis 2035 klimaneutral werden. So unser gemeinsamer Beschluss hier im Gremium. Dann sollte man sich aber so langsam Gedanken darüber machen, wie dieser Weg bis dahin aussieht. Mit einem Förderprogramm von 200.000 Euro (sprich vier Promille des Haushaltsvolumens 2024) wollte die OGL klimaschützende Maßnahmen fördern. Dieser Kerner Doppelwumms (frei nach einem bekannten SPD-Politiker) hätte, bei voller Inanspruchnahme des Fördertopfs, umweltfreundliche Investitionen in Höhe von 3,8 Millionen Euro durch Private und Gewerbliche hier in Kernen zur Folge gehabt. Die Verwaltung war dagegen und meinte, mit eigenen Maßnahmen in Höhe von 200.000 Euro mehr für den Klimaschutz erreichen zu können als die Kerner Bürger:innen mit 3,8 Millionen Euro. Eine steile Behauptung. Da sage mal einer, Verwaltungen seien ineffektiv😊. Zudem sei sie, die Verwaltung, kein Freund von Förderprogrammen. Was aber sicherlich nicht für die in Anspruch genommenen Fördergelder in Millionenhöhe für Kläranlage, Schulen, Personalstellen, Ortssanierung usw. gilt. Immerhin, so der Beschluss, soll der Antrag bzw. ein Förderprogramm für Klimaschutz im Lenkungskreis “Bündnis für ein klimaneutrales Kernen“ auf die Tagesordnung gesetzt werden.

Vor etwas mehr als einem Jahr hat die OGL fünf Fahrradanlehnbügel beim Café Merlin gefordert. Dafür sollte einer von über 70 Pkw-Stellplätzen rund ums Bürgerhaus wegfallen. Ein kleiner Schritt Richtung Mobilitätswende und Klimaneutralität, hin zu unserem großen gemeinsamen Ziel. Weit gefehlt. Für manche war der Schritt einfach zu groß. Für die UfW undenkbar, weil am Status Quo bzw. “Autos first“ festgehalten wurde. Und die CDU spielte beleidigte Leberwurst und stimmte dagegen, weil ein ähnlicher von ihr gestellter Antrag (mit schlechterem Standort) vor einigen Jahren trotz Mehrheitsbeschluss nicht umgesetzt wurde. Mit der mutigen Stimme von Herrn Paulowitsch und unter Mithilfe einiger nicht anwesenden UfW-Gemeinderäte bekam unser Antrag doch die erhoffte Mehrheit. Die Fahrradbügel stehen, werden rege genutzt und fast alle finden diese zwischenzeitlich sinnvoll und gut oder haben sich zumindest daran gewöhnt.

Nochmals zurück zu den Haushaltsanträgen. Da waren gute Anträge von allen Fraktionen dabei. Naja, mal abgesehen vom unnötigen, nicht haushaltsrelevanten, Genderantrag der CDU, dem alle CDU-Gemeinderäte – das Gendern kann ich mir hier ja sparen, da Frauen Fehlanzeige – und sonst noch einige aus dem Gremium zu einer Mehrheit verholfen haben. Empfehlen möchte ich dazu den Artikel und Kommentar der WKZ vom 28.Februar. Sinnvolle Anträge wie die Installation von Lerninseln in Schulen, die Finanzierung von Schulpraktikant:innen, Fahrradabstellanlagen oder Sitzstangen für Greifvögel bekamen eine Mehrheit. Ebenso auch unsere Anträge: Bekämpfung der Mistelplage, drei neue Tischtennisplatten auf Spielplätzen für Kinder und Jugendliche, Beauftragung eines Verkehrsplanungsbüros an den Grundschulen, um gefährlichen Situationen durch Eltern-Taxis entgegenzuwirken (wieso acht Gemeinderäte hier nicht zugestimmt haben, bleibt uns ein Rätsel), des Weiteren ein Prüfauftrag, ob kostenlose energetische Steckbriefe für Immobilienbesitzer in Kernen möglich sind. Und ein gemeinsamer Antrag von CDU, SPD, BZG und uns für eine zusätzliche Stelle im Tiefbauamt, u.a. damit das Klima-Mobilitätskonzept umgesetzt werden kann. Dazu kommt noch die finanzielle Förderung von Zisternen zum Schutz vor Hochwasser bei Starkregen und Einsparen von wertvollem Trinkwasser – Halt! Dieser Antrag wurde leider abgelehnt. Nicht einmal ein Prüfantrag, wie von der Verwaltung vorgeschlagen, bekam eine Mehrheit. Ein Rückfall des Gemeinderats in alte Zeiten, als OGL-Anträge aus Prinzip abgelehnt wurden? Nein, das sehen wir nicht so.

Das Miteinander, die Stimmung hier im Gremium hat sich die letzten Jahre deutlich verbessert. Die sachlichen Auseinandersetzungen stehen im Vordergrund. Ganz im Gegenteil zur Landes- und Bundespolitik. Ich bin froh, dass ich mich auf kommunaler Ebene politisch für das Wohl Kernens einsetzen darf. Das Stechen und Hauen, das Verbreiten von Halbwahrheiten und Fake-News, der ständige Wahlkampfmodus, die Profilierungssucht und der Populismus sind auf politischer, kommunaler Ebene, zumindest hier in Kernen, nur ganz selten zu beobachten. Vielleicht einmal ganz dezent bei einer Haushaltsrede, aber da darf es auch mal sein. Im Umgang mit einer Gemeinderätin würden wir uns jedoch mehr Sachlichkeit, Toleranz und Gelassenheit von Seiten des Gremiums und der Verwaltung wünschen. Das wäre schon jetzt eine gute Übung, um sich auf den zukünftigen Gemeinderat einzustimmen. Dieser wird hoffentlich jünger und weiblicher, sicherlich aber durch neue Mitglieder auch vielfältiger. Unterschiedliches Fachwissen, verschiedene Sichtweisen und Lösungsvorschläge auf aktuell dringliche Themen können das im Juni neu zu wählende Gremium bereichern, dafür aber eventuell einiges mehr an Toleranz abverlangen. Und wir gehen davon aus, dass nicht alle Parteien oder Wählervereinigungen einen Fraktionsstatus erreichen werden. Insbesondere auch für Sie, Herr Paulowitsch, neue Herausforderungen. Ach so, und wie war das mit den Zisternen der OGL? Wir sehen das am Ende einer zweistündigen Debatte mal optimistisch und führen die Ablehnung eines Prüfantrages auf Ermüdung und mangelnde Konzentration einzelner Gemeinderät:innen zurück. Vielen war im Nachhinein gar nicht bewusst, dass sie gegen den Antrag gestimmt hatten. Aber halb so schlimm, wir werden den Antrag in einem halben Jahr nochmals stellen. Der Verwaltung muss zugutegehalten werden, dass sie bei diesem und anderen Anträgen versucht hat, Kompromissformulierungen, teilweise spontan, zu finden, damit “kritische“ Anträge nicht gänzlich abgelehnt werden.

Und welche Herausforderungen, neben dem Klimawandel, sehen wir noch für Kernen? Da stehen zum Beispiel riesige Investitionen und Bauvorhaben an:

  1. Die Erweiterung der Haldenschule. Notwendig durch eine wachsende Bevölkerung (Hangweide) und den Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung an Grundschulen. Dass man hier in Kernen diese Erweiterung möglichst nachhaltig, über die gesetzlichen Vorgaben hinaus, angeht, das freut uns OGLer und ist sicherlich auch ein Verdienst Grüner Politik im Allgemeinen. Gleiches gilt für Punkt
  2. die Hangweide. 10 Millionen Euro geben wir hier in Kernen für das erste Gebäude auf der Hangweide aus und schaffen damit 35 neue Wohnungen. Viel Geld! Angesichts von Wohnungsknappheit jedoch der richtige Schritt. Auch hier soll, trotz nach wie vor hohen Baupreisen, beim Energiestandard und anderen ökologischen Maßnahmen nicht gespart werden. Beispiel Energieeffizienzstufe 40 (erreicht 45% besseren Wärmeschutz als die gesetzlich verlangte Stufe 55). Ein weiteres Beispiel: Die Dorfpromenade mit ihren vielen grünen Inseln soll komplett als Spielstraße ausgewiesen werden. Es entsteht somit ein Raum für Begegnung und mehr Aufenthalts- und Wohnqualität. Erwähnenswert halten wir auch das Konzept der Schwammstadt mit Regenwassernutzung, Wasserrinnen und einem See sowie die waldähnlichen Retentionsflächen.
  3. Das Zusammenlegen der Kläranlagen zu einer zentralen Anlage. Eine aus unserer Sicht notwendige und nachhaltige Maßnahme, um effizient und auf dem neusten Stand der Technik zu bleiben.

Weiterhin werden uns auch die Unterbringung und Integration von Geflüchteten beschäftigen. Der Personal- und Fachkräftemangel in allen Bereichen unserer Gesellschaft werden sich auch hier in Kernen bemerkbar machen. Und dem zunehmenden Trend, alles schlecht zu reden, einfachen und populistischen Versprechungen zu verfallen, ins Extremistische abzudriften – dem muss die Gesellschaft, dem müssen wir entgegentreten. Wir in Kernen mit unseren vielfältigen Vereinsstrukturen und dem Ehrenamt, unseren überdurchschnittlich guten finanziellen Möglichkeiten, unserer guten Verwaltung und Infrastruktur, unserem Wohlstand, mit viel Natur und Freizeitmöglichkeiten, wir alle sollten motivierend die Herausforderungen unserer Zeit angehen. Negativ denken und Positives erwarten, das geht nicht. Gemeinsam nach vorne schauen, sich seiner Privilegien bewusstwerden und die daraus resultierende Stärke für alle in der Gesellschaft nutzen, voneinander lernen – und nicht in die Litanei derer mit einstimmen, die resignativ oder die Verantwortung abschiebend jammern: „Als Einzelner kann ich eh nichts ändern, als kleine Kommune hat unser Tun eh keine Auswirkung.“ Nein, unser Tun und Lassen kann bedeutend werden für Menschen, denen ich begegne: Meiner Nachbarin, dem Geflüchteten, der Kollegin. Auch bedeutend für den Vogel, den Igel und das Insekt auf meiner Wiese oder in meinem Garten. Als Vorbilder für Menschen, Kommunen oder andere Nationen können wir mehr bewirken als wir denken. Wir müssen nicht perfekt sein, nicht vor der Komplexität der Welt resignieren, nicht in Bequemlichkeit verfallen. Wir als Gemeinderät:innen müssen Anreize in Kernen für unsere Bürger:innen schaffen, Anreize, um etwas zu verändern, etwas zu bewegen. Dies können wir unter anderem durch Bürgerbeteiligung, Infoveranstaltungen, Förderprogramme oder einfach nur durch ansteckendes Vorleben. Damit Kernen noch lebenswerter wird! Die OGL war und ist dabei. 

Schließen möchte ich mit einem Zitat von Margaret Mead, amerikanische Ethnologin (1901 – 1978): „Man sollte nie daran zweifeln, dass eine kleine Gruppe kluger, engagierter Bürger die Welt verändern kann. In der Tat ist das der einzige Weg, der jemals Erfolg hatte.“

Vielen Dank für Ihre, für Eure Aufmerksamkeit.

OGL-Fraktion/Matthias Kramer